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Artists in Wittenberger Weg

Scheibe & Güntzel

Der Ochs

Weitergehen

Der Tag erwacht im Strom der am Fenster vorbeifahrenden Autos. Die Garather fahren nach Benrath, die Benrather nach Garath. Die Siedlung ist Dazwischenland. Über der Straße tagt der bewölkte Septemberhimmel. Der Gang am Morgen entlang der Schnellstraße nach Benrath zur Post. Das Freibad hat Saisonende. Die Becken sind mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Eine Frau fegt schon Blätter. Im Postamt wartet ein Paket, darin die bestellte Ochsenmaske. Aus Latex, zum über den Kopf ziehen. Der Weg zurück durch die Siedlung. Scheibe zeigt Güntzel die gestern entdeckten Champignons und Nüsse. Wir sprechen einen Mann im Grünkohlgarten an. Er verweist auf die Mutter seiner Kinder. Sie ist die Grünkohlgärtnerin. Morgen um drei wird sie Zuhause sein. Später dann nach Garath. Andere Richtung. Wir sind wieder zu Fuß. Das Auto hat einen Stromfehler. Lädt nicht mehr, Lichtmaschine kaputt. Ein weiteres Paket wartet auf Abholung. Der UPS Access Point in einem polnischen Spezialitätenladen. Die polnische Elektropopmusik hämmert ein bisschen zu laut, ein bisschen zuviel Bass. Ich bin froh als die Bedienung mir das Paket aushändigt, ich flüchte vor der Musik obwohl ich mich noch gerne im Laden umgeschaut hätte. Mein polnisches Achtelherz hat sich gemeldet. Stattdessen einen Espresso auf der Garather Plaza. Ich mag das Ambiente hier. Stadtplanung der Sechziger aufgefüllt mit Stadtmöblierung der Achtziger bis heute. Hinter der S-Bahn, hinter der Autobahn auf einer Rampe steht eine Sonnenskulptur. Die Strahlen gelb-orange Stangen, zwei Systeme drehen sich in entgegengesetzter Richtung. Leider ist die Garather Geschichtswerkstatt im SOS Kinderdorf heute nicht geöffnet. Der Herr, Gründer und Leiter der Werkstatt, weit über Achtzig kommt schon seit einigen Wochen nicht mehr. Wir lassen einen Zettel mit Kontaktdaten da. Wir hatten uns auf Einblicke und Gespräche gefreut. Wir hoffen es geht dem Herrn gut. Der Tag nimmt seinen Lauf und steigert noch einmal die Temperaturen trotz weiter verhangenem Himmel. Ich ziehe mir den grauen Anzug an und ziehe mir die Ochsenaske über den Kopf. Güntzel nimmt die Kamera. A. unsere Patin aus der Siedlung begleitet uns. Wir erregen Aufsehen. Kinder folgen uns. Wollen mit auf Foto. Der Ochs winkt. Der Ochs grüßt, der Ochs geht, der Ochs steht, der Ochs lehnt, der Ochs rutscht, der Ochs springt, der Ochs sitzt. Der Ochs ist zurück, besucht die Siedlung, da wo früher die Äcker des Buchholzer Hofs waren und der Ochse schwer zu schuften hatte. Dabei war der Boden gar nicht so schwer. Sandanteil, Schwemmland. Der Rhein ist nicht weit. Im September, nach der Ernte hat der Ochse endlose Heufuhren gefahren. Vielleicht auch Kohlköpfe aufgestapelt zu Kohlkopfpyramiden. Heute guckt er sich in der Siedung um. Die Häuser, viele im gleichen Zartrosa gestrichen wie das hochherrschaftliche Benrather Schloss drüben auf der anderen Seite, hinter den Bahngleisen, hinter der Schnellstraße. Auf der anderen Seite, in einer anderen Welt. Die Benrather haben den Garathern die Siedlung gnädig überlassen. Stadtbezirk 10, heute. Damals Groß Benrath. Mit Ackerflächen und der schwarzen Kapelle des Pfalzgrafen. Heute der Ochs auf dem Berge des Spielplatzes, manchmal kommt A. mit ins Bild. Sie zeigt dem Ochs den Weg, warnt vor Stolperfallen, erklärt den Nachbarn. Nach einer Stunde ist der Ochs müde und naßgeschwitzt unter der Maske. Er trottet heim. Ein verlassenes rosa Kinderfahrrad liegt auf dem Rasen. Dort wo damals Kinder des Ochsenknechts mit dem eisernen Radring des Ochsenfuhrwerkrads gespielt haben. Vielleicht. Wir fahren mit dem Autobus ins Benrather Archiv. Da gibt es mehr Wissen über die Kapelle, die Siedlung, die Höfe. Zurück in der Wohnung, auf den Regalbrettern aus Kiefernsperrholz wacht die Ochsenmaske.