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Artists in Wittenberger Weg

Vorläufer 2016 und 2017

Ruppe Kosselleck und Susanne von Bülow

Noch nie war Geschichte so lecker

Krim Kekse in ukrainischen, sowjetischen und russischen Farben. Ruppe Kosselleck und Susanne von Bülow. September 2017

Wir waren gestern unterwegs und aktiv auf den Kunstpunkten in Düsseldorf - genauer dort bei Ute Reehs ZENTRUM FÜR PERIPHERIE, welches sich aktuell (temporär) auf einer Bausstelle am Wittenberger Weg in Garath befindet. Mit der örtlichen Bevölkerung backten wir uns entlang genagelter Grenzen durch die Konflikte dieser Welt. KUCHEN ESSEN ALLES VERGESSEN arbeitet seit vier Jahren an dem freimütigen und leichtfertigen Konsum kuchenfertiger Staaten, Länder und En- wie Exklaven dieser gegenwärtigen und historischen Welt. Wir erstellten neue Kuchenförmchen für den BREXIT, das bevorstehende catalunische Regionalaufbegehren und nagelten uns entlang der alten Zonengrenze... Endlich reduzierten wir BRD und DDR zu einer genießbaren Geschichtstorte!
Von 11 - 18 Uhr standen wir als ästheto-historische Konfliktlöser und Kuchenbäcker in Garath und genossen die wunderbar Atmosphäre des KUNSTPUNKTE OFFRAUMPROGRAMMs. Aus der nahen Ferne des Schwarzen Weges weht das Rauschen der Autobahn in unsere gut besuchte Kuchenstation, wo wir unter Planen neben der Baustelle des Wiesencafés arbeiten. Das Zentrum für Peripherie NRW arbeitet hier inmitten sozialen Wohnungsbaus in der "rheinischen Ex-Bronx" - in einem tollen Viertel, wo uns erst schüchtern und mit zunehmenden Selbstverständnis Kinder vereinzelt und später in Scharen besuchen. Und - ehrlich, zu unserer großen Überraschung - bleiben sie neugierig und friedlich. Gemeinsam mit Jugendlichen stehen wir vor unbeschrifteten Landkarten, deren unbekannte Umrisslinien Länder und Konflikte, Geschichte und Geschichten ergeben, die neue Formen und Förmchen herausbilden werden. Unterschiedliche Herkünfte verweisen auf östliche Staaten und lassen uns noch einmal die Sowjetunion auflösen und Krimkekse in vielen nationalen und post-nationalen Farben entwickeln. Irgendwo zwischen spannenden Gesprächen über geopolitische Plätzchen sowie moralischen Deplazierungen, einem aufkeimenden Kindergeburtstag (denn es versammelten sich schließlich bis zu 20 Garather Kinder und Jugendliche um uns herum, die alle zugleich und sofort (!) Kuchen backen, essen und Ländergrenzen zu Förmchen nageln wollten!) verbrachten wir einen ungewöhnlichen Tag in Düsseldorf.
Eigentlich finde ich partizipative Projekte und pädagogische Ansprüche im Kunstkontext oder besser KONSTKENTUXT regelmäßig scheußlich, schrecklich und langweilig. Hier in Garath auf dieser seltsamen Kunstbaustelle von Ute Reeh - dieser um eine angewandte konkrete Utopie ringende künstlerische Caféwerdung, fiel mir auf einmal auf, dass es hier in GARATH ganz egal wurde, ob wir noch Kunst, Kuchen oder Geschichtsvermittlung betrieben. Es entwickelte sich eine Stimmung die so viel Vergnügen verbreitete, dass am Ende die Jugendliche beim benachbarten ALDI die Projektflyer als ein absurdes Wahlkampfmanöver auf dem Parkplatz verteilten. So trafen wir auf ein anderes Düsseldorf, als das, was wir kennen - auf ein unbeschwert und unbekümmert, neugieriges und hungriges Vorstadtmärchen im Schatten der feierabendschwangeren Landstraße nach woandereshin... Und jetzt, wo wir eingepackt haben, bleiben viele Fragen im Raum stehen...und in ein paar Tagen folgen weitere Reflexionen vielleicht. Anstelle des Brexits schlagen wir vor, diesen einfach aufzuessen, anstelle weiterer Krimkriege oder salziger catalanischer Cremas.... Historische Geschichtskuchen, Krimkeks oder catalanischer Spaltplätzchen hinterlassen zuckersüße Eindrücke einer utopischen unverdaulichen Geschichte auf dem Gaumen, im Magen ...und auch dem was dabei heraus kommt! Wir sollten uns häufiger treffen, um gemeinsam Geschichte entlang verblichener und werdender Demarkationslinien zu versüßen, zu verspeisen und zu verdauen.