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Kunst — Pädagogik — Architektur

Das Projekt an den eigenen Zielen prüfen

Beirat vom 7. Mai 2010

„Ich freue mich sehr, dass Sie meiner Einladung zum Beirat des Schulkunstprojekts gefolgt sind. Sie bringen auf sehr unterschiedliche Weise eine ausgewiesene Fachlichkeit für das Thema Schule mit Kunst zu verändern mit. Auf den Austausch mit Ihnen bin ich sehr neugierig,“ so Ute Reeh zu Beginn des ersten Beirats zum Projekt „Jugendliche planen architektonische und soziale Strukturen und setzen sie um“ in der Alfred-Herrhausen-Schule in Düsseldorf.
Nach ersten Schritten und Erfahrungen ging es darum, das Projekt an seinen gesetzten Zielen und Ambitionen zu prüfen und weiter zu entwickeln.  Im Mittelpunkt des fachlichen Austausches stand am 7. Mai vor allem die Planung einer Terrasse an der Alfred-Herrhausen-Schule.
Wie ist die Kluft zwischen den Ideen der Kinder und der professionellen Umsetzung in ein Bauvorhaben überwindbar und wie kann zwischen beiden so vermittelt werden, dass der Impuls der Kinder auch über den Prozess der Planung hinaus erfahrbar bleibt? Ein Kurzbericht über das Gesamtprojekt, der Besuch der beteiligten Kinder und ein Kurzfilm von Ute Reeh stimmten die Debatte ein und begleiteten sie. Am Ende konnte Ute Reeh wichtige Impulse für die nächsten Schritte mitnehmen. Der Beirat wird das Projekt auch weiterhin beratend begleiten.

Chancen der Förderschule nutzen
Das Stigma „Förderschule“ belastet die Kinder, Jugendlichen und ihre Eltern. Aber die Förderschule hat auch hilfreiche Rahmenbedingungen und bietet einen gegenüber anderen Schulen eher offenen Raum. Es gibt weniger Leistungsstress und klare Zielvorgaben, wohin die Kinder erfolgreich gelangen sollen. Diese Chancen können Engagierte im Sinne der Kinder und Jugendlichen gut nutzen. Erfahrungen aus der Arbeit in der Förderschule können und sollten die Arbeit in Regelschulen bereichern, als Chance für einen anderen, besseren Ort für Kinder und Heranwachsende insgesamt.

Von den Ideen der Kinder zu professionellen Plänen
Aus Brandschutzgründen musste ein Gebäude an zwei Stellen nach außen geöffnet werden. Dies war der Impuls für das Projekt in der Alfred-Herrhausen-Schule, statt einfacher Feuertreppen den Schulraum nach Außen durch eine Terrasse zu öffnen.

Eine Terrasse planen – das ist eine ernsthafte Angelegenheit. Sie wird sichtbar sein und das auf lange Zeit. Kinder und Jugendlichen ernsthaft arbeiten zu lassen, ist in der Arbeit elementar wichtig. Bei der Modellentwicklung für die gewünschte Terrasse ging es zunächst darum, den Kindern zu vermitteln, wie man arbeiten kann. Dazu gehören Zeichnen und Modellieren. Um die Ideen und Vorstellungen der Kinder nicht zu verlieren, hat Ute Reeh in den einzelnen Schritten diese immer wieder in den Prozess hineingeholt,  beispielsweise durch das Schreiben von Texten.

Nachdem die Kinder in der Planung der Terrasse sich selbst genaue Vorstellungen von ihren Ideen gemacht und diese mit Zeichnungen und Modellen visualisiert hatten, erläuterten sie ihre Pläne StudentInnen der Fachhochschule Düsseldorf. Diese fertigten ihrerseits Modelle an. Nach der Entscheidung der Kinder und StudentInnen für einen Entwurf folgt nun Schritt für Schritt die professionelle Umsetzung des Favoriten in einen Bauplan zusammen mit dem Architekten Jo Meyer.
An dieser Stelle wird die der Bruch zwischen den Ideen der Kinder und dem professionellen Plan sehr deutlich. Daher ist die zentrale Frage zu diesem Zeitpunkt: Wie kann und muss zwischen dem, was die Kinder entwickelt haben und der professionellen Umsetzung in ein Bauvorhaben vermittelt werden? Wie ist die Kluft zwischen beiden überwindbar? Wie kann gesichert werden, dass von dem Neuen, Innovativen der Kinder etwas erfahrbar, sichtbar bleibt?

Erschrecken und Frustration
Nachdem sich alle Beteiligten die Zeichnungen, Modelle und Texte der Kinder und den aktuellen Entwurf des architektonischen Bauplanes angeschaut haben, herrscht Ratlosigkeit ob der so sichtbaren Kluft zwischen beiden. Der Rückbau von Fantasie erschreckt einzelne Beiratsmitglieder. Auf der anderen Seite ist dies eine ganz selbstverständliche, normale Erfahrung im Alltag des Planens und Bauens.
Das Bild von Martin – die Grundlage für die Entwicklung des ausgewählten Entwurfs – vermittelt ein Tasten in unbekannte Räume, die Entwürfe der Fachleute – StudentInnen und Architekt - das Gegenteil. Sie sind eine auch versicherungstechnisch „saubere Geschichte“. Die Erwartung einer „Schulterasse“ scheint das Todesurteil der kindlichen Fantasie zu bedeuten, die Entwicklung des konkreten Bauplans deren Banalisierung. Ist etwas anderes möglich? Oder liegt die Qualität der Arbeit nur im Prozess der Entwicklung bzw. kann sie nur hier liegen?

Qualität im Prozess
Unstrittig wird – jenseits einer gelungenen Umsetzung der Vorstellungen der Kinder – der Prozess in seiner Qualität gesehen. Kinder und Jugendliche machen Erfahrungen, die sie nicht vergessen werden. Dies gilt auch für die beteiligten Erwachsenen.
Dies ist auch dem Schulleiter sehr wichtig. Er erlebt, dass die Kinder durchaus den Prozess wahrnehmen und kein Problem damit haben, wenn sich Dinge anders als sie erstmals gewünscht entwickeln. Die eigenen Visionen an der Realität messen: dies ist Lebensalltag der Kinder und Jugendlichen, manchmal bitter, aber in jedem Fall wichtig für sie. Auch die Kinder bestätigen, sie finden die perfekte, professionelle Umsetzung „super“. Dass manches anders wird, Ideen verloren gehen auf dem Weg, finden sie „ganz normal“.
Es geht nicht um passende Räume zu jeweiligen ideologischen und pädagogischen Konzepten. Die Qualität liegt in der Chance von Prozessen. Wichtig ist dabei die Analyse der Modelle, die Art und Weise, wie man mit Vorschlägen umgeht. Was lässt man sich einfallen und was passiert beim Lernen?

Offenheit riskieren
Damit die Qualität der Arbeit sich nicht im Prozess und für die Dabei gewesenen erschöpft und um das Projekt lebendig zu halten, braucht es materialisierte Freiräume, Ideen auf einem Weg zwischen der Gestaltungslust der Kinder und der Verantwortung für eine Ausführung, die Kinder und Jugendliche selbstverständlich nicht übernehmen können.
Es entsteht die Idee, Terrasse und Landschaft deutlicher zu verbinden. Denn eine Offenheit lässt der Landschaftsbereich naturgemäß eher zu als ein Bauwerk. Eine mögliche Chance, denn das Gartenamt der Stadt Düsseldorf ist für die Gestaltung sehr offen. Oder die Terrasse müsste so gebaut werden, dass sie einerseits „fertig“, aber immer wieder interpretierbar ist. Die Treppe z.B. scheint für die Kinder sehr wichtig zu sein. Wie ist eine veränderbare „Treppe“ umsetzbar? Und wie Lösungen finden, die im weiteren Prozess kein größeres Geld kosten. Interessant könnte es sein, eine Kultur von Entscheidungen für jedes Projekt vorzusehen. Oder Irritationen einbauen: Eine Terrasse ohne Treppe – man muss immer wieder erfinden, wie man hochkommt.
Für eine solche Offenheit muss sich Schule weich, frei machen. Ihre Strukturen laufen dem allerdings entgegen. Und: Schulgebäude und Schulräume werden in sehr normierten und hoch arbeits- und verantwortungsteiligen Prozessen geplant. Auch Freiräume müssen geplant werden. Real geht dies über einen subversiven Umgang mit den Normierungen im Schulbau. Zu erkennen, was Schule bespielen kann, was SchülerInnen bespielen können, erfordert eine hohe Professionalität.

Professionalität im Projekt
Für das Spannungsfeld zwischen der professionellen Umsetzung und den Ideen der Kinder könnte das unterschiedliche Verständnis von Professionalität der am Prozess beteiligten Fachleute von Bedeutung sein. Was verstehen sie jeweils als das mit Blick auf ihre Professionalität angemessen Erwartbare? Was ist das fachlich Richtige, Meisterhafte? Und: unterschiedliche Professionen sprechen eine unterschiedliche Sprache. Hier können Missverständnisse und mögliche Übertragungsfehler entstehen. Eine Übertragungskultur ist also nicht nur zwischen den Kindern und den Fachleuten, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Fachleuten nötig.

Interessant: Pablo Molestina berichtet, dass die StudentInnen entgegen seiner Erwartung eine weniger „professionelle“ als persönliche Beziehung zu den Kindern gestaltet haben.

„Noch professioneller – performativer denken
Der Frage „Was wollen Kinder? Hat die Umsetzung noch ihren Funken erhalten?“ folgend, stellt sich eine weitere Frage der Professionellen: „Was brauchen Kinder?“ Die Landschaftsgruppe wollte auch eine Wüstenei hinter dem Schulgebäude. Dies zeigen ihre Pläne anschaulich. Aber was brauchen Kinder? Eine Wüstenei, einen Abenteuerspielplatz oder Ermöglichungsstrukturen – also möglicherweise wenig und sehr zurückhaltende Architektur, die allerdings auf sehr hohem Funktionsniveau Angebote machen kann? Brauchen Kinder vor allem ein Projekt und nicht eine spezfische ästhetische Form /Fassung? Oder ist es genau die Kopplung von „ein Projekt haben“ und auf ein sich laufend konkretisierendes und veränderndes, aber doch sehr konkretes, anfassbares, auch ästhetisches Ziel gemeinsam hinarbeiten, dass die Dynamik ausmacht? Und, lässt sich das Gelingen oder Scheitern an der ästhetischen Form ablesen?

So verstanden muss die professionelle Umsetzung einen Schritt über die hochprofessionelle handwerkliche Kunst hinausgehen und sich öffnen für ein „Mehr“: Freiräume identifizieren und Freiheiten einbauen. Bewegter Raum statt Förmchen - so wird in den unterschiedlichen Zeiten mit den unterschiedlichen Menschen, die einen solchen offenen Raum pflegen und beleben, sichtbar, wie die konkrete Schule ist.

Die Übertragung der Ideen der Kinder ist eine Herausforderung im Projekt. Dabei geht es nicht eine formale Übersetzung, sondern um die Übermittlung von Ideen, um Möglichkeiten im Prozess. Dazu braucht es eine Kultur der Übergaben. Und sicherlich wird es immer etwas geben müssen, was die Kinder selbst konkret umsetzen.

Ausblick
Der nächste Schritt im Terrassenprojekt ist, das Geplante zu überdenken und gemeinsam dem umsetzenden Architekten Ideen für eine mehr performative Umsetzung zu entwickeln.
Der Beirat äußert den Wunsch, andere Projekte in Deutschland zu suchen, die ähnlich arbeiten, Erfahrungen haben. Es wäre gut, diese Projekte an einen Tisch zu bekommen und hier die zentralen Fragen - Verhältnis von Prozess zum Produkt -  zu diskutieren. Denkbar ist eine Sitzung im erweiterten kleinen Kreis (ca. 15 Teilnehmende) mit anschließender Fachveranstaltung zu allen Themen rund um das Projekt, zu dem breiter eingeladen wird. In das Projekt wird sich der Beirat weiterhin bei konkreten Fragestellungen einbringen.

TeilnehmerInnen
Prof. Christopher Dell — Institut für Improvisationstechnologie
Dr. Gregor Jansen — Kunsthalle Düsseldorf
Prof. Pablo Molestina — Architektur, Beratung
Dr. Otto Seydel — Institut für Schulentwicklung Überlingen
Ute Reeh — Künstlerin, Projektleitung
Frauke Burgdorff — Montag Stiftung Urbane Räume, Koordination, Moderation
Prof. Johannes Schilling - Architektur - konnte leider nicht teilnehmen, Pablo Molestina hat freundlicherweise seinen Part übernommen.
Gast: Peter Zerfaß, Schulleiter der Alfred-Herrhausen-Schule
Schülerinnen und Schüler der Alfred-Herrhausen-Schule:
Team Terrassenplanung – Klasse  Frau Smeets
Team Außengelände – Klasse Frau Scheller
Margaretha Kurmann — Bericht

Alfred-Herrhausen-Schule Düsseldorf