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Fachtagung Schulkunst

Auswertung Expertentag

2 - Ein Projekt im Projekt

Themenpatenschaft: Christopher Dell, Musiker, Improvisations- und Architekturtheoretiker

Jeder kann sein Projekt im Projekt haben

Ausgangspunkte:
Die Dynamik der Selbstwirksamkeitserfahrung - Die Schule umbauen
Transparente und bewegliche Ordnungen der Verantwortung
Schule als Raum um Neues zu denken

Fachkommentatoren:
Reinhard Kahl, Bildungsjournalist, Filmemacher
Stefan Hölscher, Kunstakademie Münster

Teilnehmer:
Tom Braun, Bundesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung
Geraldine Güldenmeister, Schülerin, Geschwister-Scholl-Gymnasium
Reinhardt Kahl, Journalist, Filmemacher
Klaus Kurtz, Lehrer, Umweltamt
Brian Urlaub, Schüler, Alfred-Herrhausen-Schule
Marvin Wilms, Schüler, Alfred-Herrhausen-Schule
Peer Zickgraf, Onlinejournalist

Themenübersicht:
- Einen Prozess initiieren
- Positionierung des Projekts im Schulalltag
- Bewertung des Erfolgs eines Projekts
- Rolle der Dokumentation

Das Wissen um die Bedeutung der Selbstwirksamkeit steht am Anfang der Diskussion.
"Wir haben ganz oft solche zusätzlichen oder legitimatorischen Projekte weil wir sagen, Selbstwirksamkeit und tätiges Lernen sind wichtig, aber wir vergessen, dass wir all die fragen müssen, die diese Kultur an der Schule darstellen und bestimmen. Und dann brauchen wir natürlich einen Funken." Tom Braun

Es gilt also, den Kindern und Jugendlichen Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. Die Gruppe ist sich einig, dass dies die Aufgabe des Künstlers in einem Schulkunstprojekt ist. Er ist als Initiator zu betrachten, im weiteren Verlauf sind jedoch die Schüler klar die Besitzer des Prozesses und der Entwicklung.
"Die Schulgemeinschaft mit den unterschiedlichsten Leute die da sind, die Schulkultur, das müssen die Besitzer des Prozesses sein, die müssen das gestalten." Tom Braun

"Man kommt natürlich mit einem Konzept in eine Schule rein, aber man muss dann auch bereit sein, sein eigenes Konzept hinterfragen zu lassen. Was ist denn, wenn ich auf die soziale Wirklichkeit treffe, wenn Interessen artikuliert werden, die nicht zu meinem Konzept passen? Bin ich Initiator für etwas, was ich mir am Ende auch aus der Hand nehmen lasse?" Klaus Kurtz

Diese Haltung verhindert, dass Künstler, Lehrer oder Schulleiter Schüler als Statisten für eigene selbstverwirklichungen funktionalisieren.

Es wird deutlich, dass die Gespräche und Verhandlungen der Projektpartner ein wesentlicher Teil des Projekts sind.

"Dass die überhaupt mal an den Punkt kommen, dass es zum Verhandeln kommt, ist eigentlich schon als Teil der Praxis zu begreifen." Christopher Dell

Hat der Prozess begonnen, agieren die Schüler in einem offenen Raum. Die Schülerin Geraldine Güldenmeister (Geschwister-Scholl-Gymnasium) berichtet, dass einige Schüler sehr gut mit dieser offenen Situation in der Projektarbeit klarkommen und andere doch mehr Führung brauchen. Sie konnte aber auch beobachten, dass einige Schüler im Verlauf des Projekts gelernt haben, mit dem offeneren Raum umzugehen.
Die Arbeitsstrukturen innerhalb eines Projekts können sehr unterschiedlich sein. Am Geschwister-Scholl-Gymnasium werden die Projekte so gehandhabt, dass die Schüler parallel zum Unterricht arbeiten und Unterrichtsstoff von ihnen nachgeholt werden muss. An der Alfred-Herrhausen-Schule hingegen ist das Projekt Bestandteil des Schulalltags.
Die Schüler am Geschwister-Scholl-Gymnasium haben in Eigenregie eine Arbeitsstruktur entwickelt, die in Gruppen gegliedert verschiedene Aufgaben im Projekt übernimmt und selbstständig bearbeitet. Ute Reeh dient oft als „Pin board“, also als zentraler Ort der Information und des Interesses. Lehrer können eine derartige Aufgabe nicht übernehmen, da sie zu fest in die strukturellen Gegebenheiten des Lehrplans und der täglichen Arbeitsabläufe eingebunden sind. Jeder der Beteiligten benötigt einen zeitlichen Rahmen um sich für ein Projekt engagieren zu können.
Geraldine spricht sich dafür aus, dass die Projektarbeit nicht komplett neben dem regulären Unterricht läuft, da es sonst schnell zu Versäumnissen und Zeitnot kommt. Vielmehr sollte diese, so weit wie möglich, in den Fachunterricht eingebunden und auf und mit ihm abgestimmt sein.

Wenn Schule und Kunst sich treffen, prallen zwei Welten aufeinander: eine ausnahmslos zielorientierte und eine radikal offene, prozessorientierte. Eine politische und eine ästhetische.
Die hierarchischen Strukturen von Schulen erwarten ergebnisorientiertes Arbeiten, ihre Währung sind Noten, ihre Bewertungen beruhen auf „richtig“ und „falsch“.
Künstlerische und ästhetische Arbeit funktioniert ganz anders. Um die Prozesse und Ergebnisse einer kreativen Arbeit zu begreifen oder gar zu bewerten, wird eine bewegliche, situationsspezifische, über Ja und Nein hinaus gehende Urteilskraft benötigt.
Den Schulen fällt die Aufgabe zu, Freiräume zu schaffen, eine Form zu finden, die viele Formen ermöglicht und viele Persönlichkeiten zulässt – neben den Künstlern und Schulleitern die von engagierten Lehren und eben solchen Schülern. Oftmals aber stehen einem solchen Freiraum die verschiedensten Interessen entgegen und nicht zuletzt ist es das Ansehen der Schule, das in Gefahr zu sein scheint, sollte das Kunstprojekt sich zu sehr ausbreiten oder scheitern. Dann blockiert Angst die Integration von Kunstprojekten an den Schulen und schließlich, wie am Geschwister-Scholl-Gymnasium, ihre praktischen Umsetzungen.

Die Frage nach dem Scheitern kommt auf. In der Schule gilt Scheitern als Versagen und Ende eines jeden Projekts während es in der Kunst ganz im Gegenteil zentraler Bestandteil eines Projekts ist. Das Scheitern ist hier ein Punkt von Interesse, da es Grenzen oder Konflikte offen legt. Künstlerische Projekte brauchen Freiraum zum Scheitern – auch oder gerade dann, wenn sie im schulischen, also hierarchischen Rahmen stattfinden. Der Raum, den Kunstprojekte fordern, ist Raum für den Prozess, der sie sind, ist Raum sogar zum Scheitern.

„Ein Projekt kann dann gelingen, wenn es expressis verbis scheitern darf.“ - Christopher Dell

Jeder hat sein Projekt im Projekt. Die Ergebnisse dieser Projekte liegen nicht nur in den fertigen Produkten. Sie liegen vor allem im Anteil und im Lernen eines jeden Einzelnen. Jeder an einem Projekt Beteiligte trägt seinen Teil dazu bei und jeder möchte für seine Arbeit anerkannt werden, möchte, dass die Ergebnisse geschätzt werden.

Um diese Wertschätzung für sich selbst zu erreichen benötigt es die Reflektion der eigenen Arbeit. Um von anderen geschätzt zu werden, muss die Arbeit präsentiert werden. In jedem Fall muss der Einzelne eine eigene Form finden, in der er sich ausdrückt – in der er sein Projekt dokumentiert.

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Nachmittag, gemeinsam mit Tisch 7 "Als Bild verstehen"
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Die Grundlage für bleibende Motivation bei Schülern über das gesamte Projekt hinweg sind sichtbare und vor allem auch spürbare Ergebnisse. Da Kunst ein Prozess ist, der auch scheitern darf, können die für die Motivation der Schüler erforderlichen Ergebnisse in Form des Festhaltens einzelner Schritte und Teilerfolge in der Dokumentation gesammelt werden.
Die Dokumentation ist auch eine Übung in Reflektion und Selektion während des Prozesses; die SchülerInnen positionieren sich selbst.

Leicht zugängliche neue Medien und riesige Speicherkapazitäten ermöglichen und verleiten zu unreflektiertem, blindem Erzeugen von Massen an Bildern. Das jedoch ist gerade das Gegenteil von Dokumentation. Reflektion und Selektion sind integrale Bestandteile von Dokumentation.
Dokumentation ist als eigener Schaffungsprozess anzusehen, welcher nicht Abbildungen produziert, sondern jeweils eigene Bilder und Perspektiven schafft.
Diese Bilder enthalten nicht einen vorgelagerten Sinn sondern ihr Sinn wird erst geschaffen, muss noch verhandelt werden. Diese Einstellung ist vor allem Schülern fremd: Sie lernen das Erfüllen von Aufgaben, das Auffinden von schon vorhandenem Sinn in Bildern oder Texten und schließlich das Anwenden von Ergebnissen zum Erreichen eines Nutzen. Dahingegen ist die künstlerische Perspektive eine, die in der Sache selbst alle Möglichkeiten sieht, die die Sache durch verschiedene Medien zu begreifen sucht.

"…auf der anderen Seite ist klar, dass der Sinn immer vorgängig ist. So ist das bei uns aufgebaut was Wissen heißt. Und das kann nicht klappen bei nicht-abbildhaften Materialien. Die man dann so weiterdenken kann, mit denen man Sinn produzieren kann… Die muss man ganz anders lesen… Und das meine ich mit Kunst als Verfahren. Nicht unbedingt das tolle Objekt… Das denke ich macht die Ute und das will sie auch mit ihrer Arbeit vermitteln." Christopher Dell

Sinn einer Dokumentation ist also neben dem Versuch der Abbildung eines Prozesses und der (Selbst-)Beobachtung auch das Entwickeln einer eigenen Perspektive auf das Projekt und schließlich eines eigenen Ausdrucks. Das Bilder Schaffen, das Dokumentieren dient im Projekt der Positionierung der Schaffenden und Betrachter.
Die Bilder und andere Ergebnisse können die unterschiedlichsten Anwendungen haben. Sie können künstlerischer Ausdruck sein oder für einen wirtschaftlichen Zweck eingesetzt werden. Das bedeutet, dass Informationen über den internen, am Projekt beteiligten Kreis hinaus, verschiedenen Öffentlichkeiten zugänglich gemacht werden. Diese Öffentlichkeiten und Anwendungen zu besprechen und zu verhandeln, ist ebenfalls Teil der Dokumentation.
Die Dokumentation dient also auch der Transparenz von Motiven in einem Projekt. Zu diesen Motiven zählen einerseits die Interessen für und gegen bestimmte Umsetzungen, andererseits die Zwecke, die die Gestaltung und Verwendung der Dokumentation bestimmen.
Dennoch entstehen gerade im prozesshaften Arbeiten jede Menge Zwischenergebnisse, viel mehr als schließlich weiter entwickelt oder gar realisiert werden. Die Dokumentation erweitert das Feld der Möglichkeiten hin zu mehr möglichen Entscheidungen. Durch eine Reflektionsebene und die Möglichkeit einen Schritt zurück zu machen, ältere Ergebnisse mit einzubeziehen, wird es möglich, sich in seiner Entwicklung nicht nur linear auszudehnen, sondern auch in die Breite, sich zu vertiefen.
Durch eine persönliche Dokumentation des Projekts und der eigenen Arbeit ist ein differenziertes, die Neigung berücksichtigendes Arbeiten möglich. Die eigene Arbeit wird dadurch reflektiert, kann vom Schüler oder Lehrer selbst geschätzt werden und kann anderen präsentiert und somit auch von ihnen geschätzt werden.
Die Dokumentation von prozessorientierten Projekten bedeutet schließlich auch Archivierung und zur Verfügung stellen von Ergebnissen und Methoden für folgende Generationen. Die Dokumentation dient somit nicht nur der Orientierung im laufenden Projekt sondern auch in zukünftigen Projekten.

Eine Internetseite ist ein potentiell multiperspektivisches, nicht-hierarchisches und interaktives Medium. Es bietet außerdem die Möglichkeit, verschiedenste Medien einzubinden, was der Dokumentation entgegen kommt: Prozesse lagern sich in unterschiedlichen Medien unterschiedlich ab. Eine Internetseite kann mit dem Projekt wachsen. Sie dient als Archiv und ermöglicht dabei die Beobachtung von Strukturen und Motiven.

Protokoll: Katharina Hauke, Studentin Kommunikationsdesign, FH Düsseldorf ; Bearbeitung: Muriel McCalla und Thomas Düssel