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Kunst — Pädagogik — Architektur

Beiratstreffen am 17. Februar 2014 in der Alfred-Herrhausen-Schule, Düsseldorf

Anwesend:
Frauke Burgdorff (fb) — Montag Stiftung Urbane Räume, Bonn
Margaretha Kurmann (mk) — Protokolle und Interviews, Oldenburg
Ute Reeh (ur) — Projektleitung, Düsseldorf
Prof. Johannes Schilling (js) — Architektur, FH Münster

Entschuldigt:
Christopher Dell — Architektur- und Improvisationstheorie, Berlin
Dr. Gregor Jansen — Kunst, Kunsthalle Düsseldorf
Prof. J. Pablo Molestina — Vertreter Architektur, FH Düsseldorf
Dr. Otto Seydel — Pädagogik, Institut für Schulentwicklung, Überlingen

Gäste:
Nathalie Dimic — Protokoll, Düsseldorf
Georg Mallitz (gm) — Kurator, Bochum
Schülerinnen und Schüler — Alfred-Herrhausen-Schule, Düsseldorf
Peter Zerfass (pz) — Schulleiter, Düsseldorf

Begrüßung und Vorstellung

Die Beiratssitzung beginnt mit einer Begrüßungsrunde und einem tagespolitischen Exkurs zum Thema „Inklusion im Regelschulsystem“. Peter Zerfass berichtet von seinen Erfahrungen und erläutert die Schwierigkeiten, die seines Erachtens auftreten können.

Hinführung – Chancen und Schwierigkeiten

Ute Reeh gibt einen kurzen Rück- und Überblick in die bisherige Arbeit des Beirats. Vor knapp vier Jahren, im Mai 2010, kam der Beirat an der Alfred-Herrhausen-Schule zu ersten Mal zusammen und begleitet und berät seitdem die Schulkunst-Projekte an den verschiedenen Schulen. Drei entscheidende Aspekte der Zusammenarbeit zwischen der Alfred-Herrhausen-Schule, Ute Reeh als Initiatorin von Schulkunst und dem Beirat Schulkunst, die zum Gelingen des Modellversuchs beigetragen haben, werden herausgestellt: 1. Alle Beteiligten sind in das Projekt „gerufen“ worden. Das meint, dass alle Beteiligten freiwillig und aus persönlichem Interesse am Projekt mitwirken und nicht von einem Vorgesetzen/einer Vorgesetzen oder einer anderen übergeordneten Instanz in das Projekt geschickt wurden. 2. Peter Zerfass führt an, dass die Alfred-Herrhausen-Schule bereits im Vorfeld Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern gemacht hat und die Schule dem gestalterisch-künstlerischen Prozess offen gegenüber steht. Die Schule versteht sich als eine Stadtteilschule und möchte den Stadtteil aktiv mitgestalten. 3. Die Finanzierung der Honorarmittel für die künstlerische Begleitung des Projektes an der Alfred-Herrhausen-Schule ist nicht durch die Stadt erfolgt, sondern von der Montag Stiftung ermöglicht worden. Dadurch konnte das Projekt in geringerer Abhängigkeit schulbaulicher Instanzen und den dazugehörigen Verwaltungsstrukturen durchgeführt werden.

Der Prozess:

1. Vorprojekte zur Annäherung

Zur Annäherung fanden zunächst kleinere bzw. eingrenzbarere Vorprojekte statt. (Zum Beispiel: das Fußboden- und das Toilettenprojekt)

http://www.schulkunst.org/static/alfred-herrhausen-schule-duesseldorf/fussbodenfarben/index.php

http://www.schulkunst.org/static/alfred-herrhausen-schule-duesseldorf/fliesen/index.php

2. Erste Beiratssitzung

Im Mai 2010 fand das erste Beiratstreffen statt. Die Schülerinnen und Schülern stellten den Beiratsmitgliedern ihre Ideen und Modelle vor. Der Beirat traf auf authentische Entwürfe voller Eigendynamik und Direktheit. Und auf die Modelle der Studierenden der Fachhochschule. Diese hatten versucht die Ideen der Schülerinnen und Schüler zu verstehen und ihrerseits in baubare Modelle zu übersetzten. Dabei wurde eine Tendenz zur Glättung und Funktionalisierung deutlich. Aus einem gemeinsamen Befremden heraus bestärkte der Beirat Ute Reeh darin den Raum für die Authentizität der SchülerInnen zu halten. Im Projektverlauf führte dies zu mehreren Rückkopplungsschleifen und Anpassungen der Konstruktion und war die Basis für die Erfindung des Handlaufs.

Es stellen sich folgende Fragen: inwieweit kann ein Transfer zwischen Möglich-keitsraum, Lebensraum und Planungsraum gewährleistet werden? Wie kann eine Übersetzung funktionieren? Ist diese erforderlich?

Gelungene Partizipationsprojekte bergen immer Schwierigkeiten und Umwege. Wenn man diese mit einbezieht haben sie das Potential zu unerwarteten Ergebnissen von großer Komplexität und Qualität zu führen. Im Fall der Alfred-Herrhausen-Schule ist mit dem Handlauf eine gute Lösung gelungen.


Exkurs: Chancen und Schwierigkeiten (js)

A) Was könnten Gründe für Schwierigkeiten bei der Übersetzung sein?

- Überforderung der Studierenden, da die Realität ihres Studiums eine andere ist; z.B. Schnelligkeit, Funktionalität und Gelingen (js)
- Angst vor Kontrollverlust oder Scheitern (fb)
- Die Tatsache, dass im Bau Entscheidungen getroffen werden müssen (js)
- Glättung zur Simplifizierung (fb)

B) Was muss man den Studierenden mitgeben, damit die Übersetzung funktionieren kann?

- Rückkopplungsschleifen einbauen, damit die Direktheit und Authentizität möglichst erhalten bleibt (ur)
- Die Prozesshaftigkeit und Offenheit des Projektes betonen (js)
- Der Versuch das Empfindbare in Form zu bringen (gm)
- Kunst ist immer auch Risiko (ur)
- Imaginieren eines Möglichkeitsraums (fb)

Im Gegensatz zum Gelingen des Schulkunstprojektes an der Alfred-Herrhausen-Schule, sind zwei andere Schulkunstprojekte, die beide an Schulen angesiedelt waren, die von der Schulverwaltung ausgewählt worden, während des Projektverlaufs gestoppt worden. Der Beirat versucht die möglichen Gründe herauszustellen:

Peter Zerfass führt an, dass das Problem in der Struktur der Schule begründet sein könnte. Schulen sind sehr komplexe Gebilde und vor allem Berufskollegs und Gymnasien sind in ihrer Struktur und den Lehrinhalten sehr dicht, so dass das Einklinken von Schulkunst zu Schwierigkeiten in der Einhaltung dieser komplexen Strukturen und Inhalte führen kann. Zum Projekt „Schulkunst“ gehört es, in und mit eben diesen Strukturen zu arbeiten, also jeweils flexibel auf diese einzugehen sowie vorsichtig und bewusst mit Ressourcen umzugehen. Entscheidend für das Gelingen des Projektes scheint die Haltung der Schulleitung zu sein, die weit über das bloße „Wollen“ hinausgehen muss. Wenn sich eine Schule für Schulkunstkunst entscheidet, so müssen auch Ressourcen bereitgestellt werden. Zugleich muss aber auch die Projektleitung verantwortlich mit diesen umgehen und gewährleisten, dass diese nicht überstrapaziert werden. (fb, pz)


Fazit: Achtung Risiko!

Im Vorfeld muss ganz klar kommuniziert werden, dass es sich um einen planungsoffenen Prozess handelt! Die Projektleitung muss Verantwortung übernehmen und deutlich machen, dass sie behutsam mit den ihr anvertrauten Schülerinnen und Schülern sowie den zur Verfügung gestellten Ressourcen umgeht. Sie muss deutlich machen, dass aus dem Prozess etwas hervorgehen kann, dass vorher nicht gedacht wurde. (fb)


Erfahrungen – Was können wir für die Folgeprojekte lernen

Johannes Schilling weist darauf hin, dass die Bauverwaltung üblicherweise nicht mit den Beteiligten, d.h. den SchülerInnen und LehrerInnen, ins Gespräch geht und die späteren NutzerInnen nicht in den Entwicklungsprozess einbezieht. Die Verwaltung tritt als ein geschlossenes System auf und meidet den Dialog, da sie womöglich „Sand im Getriebe“ fürchtet. Schulen entstehen unter der Prämisse: ein Minimum an Fläche für ein Maximum an Pädagogik. Eine Veränderung dieser herkömmlichen Vorgehensweise kann normalerweise nur durch eine höhere Instanz bewirkt werden. Entscheidend für das Gelingen von Schulkunst ist, neben dem Bauamt, die Kultur- und Schulverwaltung. Am Anfang eines jeden Projektes müssen folgende zwei Fragen stehen: Wer kann welches Risiko eingehen? Wer hat welche Verantwortung? (fb)


Der Umgang mit Heterogenität und Brüchigkeit:

Ute Reeh betont, dass die Projekte an den Stellen am besten gelingen, an denen etwas nicht funktioniert, an denen alle Beteiligten meinen, hier sei ein Missstand, der sich nicht lösen lässt. Hier ist die künstlerische Herausforderung und die Motivation der Beteiligten am Größten. Es benötigt etwas Zeit, um diese Stellen gemeinsam mit den Beteiligten ausfindig zu machen, aber diese Zeit ist es wert, da man nur so an genau den Stellen ansetzt, wo es am nötigsten, effektivsten und am spannendsten ist. Das Handeln sollte nicht aus Ressourcen rekrutieren, sondern aus dem Interesse heraus. Die Unterschiedlichkeit aller Beteiligten birgt die Qualität innovativer und nachhaltiger Ergebnisse. Idee: Nach J.P. Sartre beginnt Philosophie in dem Moment, in dem man gegen die eigenen Konzepte andenkt. (gm)


Das Terrassenprojekt

Laura wird vom Beirat begrüßt. Sie berichtet von ihren Erfahrungen mit Schulkunst und dem Bau der Terrasse. Der Grundgedanke von Schulkunst, die SchülerInnen bei der Gestaltung ihrer Umgebung einzubeziehen, ist für Laura enorm wichtig und es macht sie stolz, dass sie an einem so eindrucksvollen Projekt mitgearbeitet hat. In den Schulpausen kann sie beobachten, wie die Terrasse von den SchülerInnen angenommen und genutzt wird. Dass die SchülerInnen direkt beim Bau beteiligt waren und ihre Spuren hinterlassen haben, ist für die Identifizierung sehr wichtig. Zu sehen, dass die eigenen Ideen angenommen und alle Beteiligten ernstgenommen werden, schenken Selbstbewusstsein und Verbundenheit. Laura leitet in den nächsten Punkt über: Das Projekt am Wittenberger Weg.


Das Projekt „Arm oder Reich?“

Die Idee für das Folgeprojekt stammt von Laura, Patrik und Denis. Laura lebt nicht selbst am Wittenberger Weg, aber kennt viele Menschen, die dort leben. Kernidee von "Arm oder Reich" http://www.schulkunst.org/arm-oder-reich/artikel.php?kap=53&art=197 ist ein Café, ein offener Ort, der Treffpunkt ist, für Menschen des Viertels und auch für Menschen von "Außerhalb".

Schülerinnen und Schüler der Klasse Scheller/Rehl haben seit November 2013 mit viel Elan geplant und Modelle gebaut. Sie stellen Beirat und Gästen ihre Ideen vor. Anschließend können die Modelle in Ruhe besichtig werden und die Schülerinnen und Schüler stehen für Nachfragen und Erklärungen bereit. Es gibt drei mögliche Bauplätze, die in Frage kommen, wobei die SchülerInnen zwei der drei Plätze deutlich favorisieren. Die Modelle lassen erkennen, dass sich die SchülerInnen bereits viele Gedanken zur Funktion des Ortes gemacht haben.

 

Planen für Andere, oder: Was ist das Café?

Der Beirat stellt die Schwierigkeit heraus, dass die SchülerInnen in diesem Projekt nicht mehr ihre eigene Umgebung verändern, sondern dass sie etwas auch für andere planen. Einige Kinder der Klasse wohnen im Viertel oder in fußläufiger Nähe, manche hatten aber bisher keine Berührungspunkte. Es muss überlegt werden, inwieweit das zu einer Überforderung der SchülerInnen führen könnte. Der Beirat versucht Möglichkeiten zu finden, wie dieser Ort spielerisch gedacht werden kann, so dass sich die SchülerInnen von den Funktionen und Anforderungen lösen und frei denken können. Als erstes muss gefragt werden, was das Café verkörpert und ob es als Metapher für etwas steht, das gar nicht die Form eines Cafés benötigt. Wenn man für andere Menschen plant, muss man ganz klar nach den Bedürfnissen und Wünschen dieser Menschen fragen und diese berücksichtigen. Johannes Schilling schlägt vor, dass Ute Reeh mit den Kindern „zaubert“ und einen temporären Ort der Begegnung entstehen lässt. Dieser Ort öffnet für einen Tag und man schaut, was dort passiert. Wie die Menschen diesen Ort annehmen und ob das der Ort ist, der gesucht/gebraucht wird. Fazit: Damit das Projekt „Arm oder Reich“ funktionieren kann, müssen die Menschen vor Ort eingebunden und mit Ihnen und ihren Bedürfnissen gearbeitet werden. Es muss zu jedem Stand des Projekts für die SchülerInnen transparent sein, was Wunsch und Idee ist und was sicher realisiert werden kann und was das Ziel ist von dem wir bis zum Schluss nicht sicher sein können ob es auch so wird wie gedacht. Für den aktuellen Stand des Projektes ist es wichtig, dass frei gedacht werden kann und das Ergebnis noch nicht von zu vielen Funktionen und Anforderungen bestimmt ist. (fb, js)

 

Protokoll Nathalie Dimic