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Fachtagung Schulkunst

Fachtag 17.09.2012

Gespräch mit Otto Seydel

Kunst als Katalysator für Schulentwicklung

Die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Projekte dieser Art gelingen können ist die Kommunikation der Beteiligten.

Video: Statements Otto Seydel

Dauer: 11:12 min
Videomitschnitt, Julian Martinz, 2012


Was mich am meisten beeindruckt hat? Meine Tischnachbarin, Laura aus der Alfred-Herrhausen-Schule. Diese Schulform, eine Förderschule, ist normalerweise völlig im Abseits. Laura hat in unserer Gesprächsrunde heute gesagt „ich habe Spuren hinterlassen“. Das ist etwas, was an deutschen Schulen ganz wenige Schüler sagen. Damals als ich Lehrer wurde, war es an dieser Schule so, dass die Schülerinnen und Schüler nach dem Abitur alles, was sie aus dem Unterricht noch hatten, Schulhefte, Bücher, in einem großen Feuer verbrannten. Das war ihr symbolisches Ende der Schulzeit. Wenn ich mir nun überlege, was die Schülerinnen und Schüler heute normaler Weise mitnehmen könnten, dann scheint es mir manchmal so, dass sie es noch immer verbrennen - oder vergessen. Was bei diesen Schulkunstprojekten entsteht, wird Laura sicherlich niemals verbrennen wollen und sie wird es auch nicht vergessen, weil es ein Stück von ihr selbst ist. Durch den Film über das Projekt an Alfred Herhausen Schule ist mir bewusst geworden, mit welcher Intensität die Schüler zu so einem Werk kommen können. Da ist etwas gelungen, wovon jeder Lehrer häufig nur träumen kann. Daß etwas so gelingen kann, dafür gibt es ein Geheimnis, meiner Ansicht nach. Es ist Ute Reeh bei diesem Projekt erneut gelungen, unendlich viele Menschen in aktiver Rolle zu beteiligen. Und alle hatten den Eindruck: Es ist unser Projekt. Ich habe mich gefragt „warum braucht es genau dafür einen Künstler?“ Warum heißt das ganze Schulkunst? Ich bin mir nicht ganz sicher.
Ute Reeh hat mich gefragt „ist die Rolle des Künstlers, die eines Moderators?“. Nein, das ist etwas anderes. Ein guter Moderator bleibt in der Sache neutral. Darum stimmt auch die Überschrift nicht, ein Katalysator verändert sich in dem Prozess, den er auslöst selbst nicht. Ein Künstler bleibt aber in diesem Prozess nicht neutral. Der Künstler ist zwar in einem solchen Projekt nicht derjenige der „seine“ Kunst macht. Wenn er „seine“ Kunst machen würde, dann könnte er die Schülerinnen und Schüler nicht wirklich beteiligen. Er muss seine Kunst loslassen. Und wenn der Künstler nun sagen würde „ich bin in einem solchen Projekt Lehrer“ dann würde ein solches Projekt wohl auch nicht entstehen. Also die Gradwanderung der Rolle, das ist das eigentliche Geheimnis. Und daher glaube ich auch – so ehrenhaft die Regeln sind, die Frau Reeh aufgestellt hat – dass diese Gradwanderung das Entscheidende ist. Es ist ein unglaublich schmaler Grad, auf dem man da gehen muss, um genau das hinzubekommen, was Frau Reeh geschafft hat: die Kreativität der Schüler freizusetzen. Darin liegt das Geheimnis.

Frauke Burgdorff: Ein schmaler Grad, wo es Menschen braucht, die da ein Gespür dafür haben wann sie diesen Grad verlassen, und das sind wohl doch eher Menschen als Strukturen. Von Herrn Zerfass kam die Forderung auf „um das Ganze strukturell wirksam werden zu lassen, brauchen wir ein Fach Schulkunst“. Das hat in mir nachgehallt und da gibt es für mich einen Widerspruch. Haben Sie den auch?

Otto Seydel: Das wäre eine Katastrophe! Dass es den Kunstunterricht gibt, ist - überspitzt gesagt - für die Kunst schon schlimm genug. Ein „Fach“ Schulkunst wäre der Verlust der Qualität in eben dem gerade beschriebenen Sinne. Die Rolle des Künstlers, ist die des Querdenkers und wenn ich Lehrer bin, bin ich natürlicher Weise anders verantwortlich – so wie es der Schulleiter gesagt hat – ich muss an das Abitur denken usw. Sonst werde ich den Schülerinnen und Schüler in diesem System so auch nicht gerecht. Die gr0ße Chance des Künstlers ist es ja gerade, dass er diesen ganzen Zwängen entgehen kann,. Wenn er zum Lehrer würde, würde er Teil des System. Das System Schule funktioniert „formal“ mit einem hohen Maß an Bestimmtheit – dann fällt die Improvisation weg (wie es Herr Dell vor wenigen Stunden an dieser Stelle beschrieb).

Frauke Burgdorff: Wenn man nun Schulkunstprojekte bewilligen müsste von Seiten Ministeriums aus - und dafür brauche ich Geld - was wäre dann besser zu sagen „ich weiß ganz genau was ich will“ oder „ich habe da mal eine Frage- Punkt, das war jetzt mein Antrag“. Überfordert solch eine Haltung nicht das System Schule? Ist es dann nicht besser, wenn ich weiß, was ich will und so nicht ewig im Prozess hängen bleibe?

Otto Seydel: Grundsätzlich glaube ich, wenn ich einen Künstler einbeziehe, darf ich nicht „curricular“ definieren was er tut. Wenn ein Künstler bei einem Antrag sein Projekt vorab eng definiert und er sagt, das oder das kommt am Ende dabei heraus (…), dann würde ich, wenn icg Geldgeber wäre, das gerade nicht fördern. Denn dann hat der Künstler das Ziel verfehlt (…). Der Prozess muss offen bleiben.

Frauke Burgdorff: Noch eine andere Frage: Wenn es darum geht, mit Widerständen zu arbeiten – das ist meine Erfahrung – dafür sind doch Pädagogen viel prädestinierter als Architekten. Also warum fällt es dann Pädagogen oft schwerer, diese offenen Entwicklungswege zuzulassen, als es manchmal den Architekten fällt? Sitzen die Architekten am Ende doch am längeren Hebel?

Otto Seydel: Schwer zu beantworten … Die äußeren Rahmenbedingungen, um als Lehrer Unterricht in Deutschland gut zu machen sind sehr schwer – besonders in den Gymnasium – da ist ein Riesendruck (da bleibt eigentlich keine Zeit). Da haben die Sonderschulen in diesem Sinne durchaus Vorteile (am vorgestellten Beispiel)! Kaum ein Gymnasium wird eine solche Terrasse bauen – obwohl es auch dafür Beispiele gibt. Insgesamt gesehen ist ist die Lage aber eher furchtbar. Als Lehrer muss man viele sichernde Routinen aufbauen, die ihm helfen müssen, den Alltag zu bewältigen. Das geht angesichts der großen Klassen und der Stofffülle kaum anders., In dem Moment, wo ein Künstler kommt und diese Routinen „stört“, weil er ganz andere Prioritäten hat, dann ist es erst einmal mühsam. (…). Das passt nicht in das normale Muster von Schule. Da baut sich innerhalb der Schulen ein notwendiger Schutzpanzer auf (…) das ist zunächst durchaus eine natürliche und verständliche Reaktion (…).

Das Idealbild eines Künstlers an einer Schule ist sehr nah meinem „Idealbild“ des Lehrers. Das ist natürlich etwas ganz anderes, als das was ich gerade über die Alltagssituation einer Schule gesagt habe. Das Idealbild ist geprägt durch das Bild des Gärtners und nicht durch das Bild des Bildhauers. Als Lehrer warte ich auf das Wachstum. Ich schaffe eine Rahmenbedingung unter der die Pflanze wachsen kann. Manchmal gedeiht die Pflanze gut, manchmal wächst sie auch nicht so gut. Aber beeinflussbar ist diese Prozess nur sehr begrenzt. Es ist nicht an mir, sie wachsen zu lassen – außer dass ich ein bisschen Wasser gieße und düngen kann und die Sonnenstrahlen manchmal weghalte oder hinlasse.